Am 22. August ging Bild-TV erstmals als klassischer Fernsehsender on Air. Eigentlich erstaunlich, dass ein Medium, das »Bild« und nicht »Wort« im Namen trägt, 69 Jahre gebraucht hat, um den Weg vom Papier auf die Mattscheibe zu finden. Wie sich der Sender in den ersten drei Monaten entwickelt hat und wie er aus Sicht der Werbeindustrie zu bewerten ist, bilanziert CROSSMEDIA Geschäftsführer Matthias Bade.
Zugegebenermaßen: Bild-TV launchte mit einem Coup. Noch vor den unzähligen Triellen und Einzelinterviews der Kanzlerkandidaten, die später in sämtlichen Medien nahezu rund um die Uhr zu sehen und hören waren, präsentierte der Sender zum Auftakt das Live-Event „Kanzler-Nacht“. Die beiden damaligen Kandidaten Laschet und Scholz stellten sich in einer 90-minütigen Show den provokanten und zugespitzten Fragen der Moderatoren. So, wie man es in bester Bild-Manier erwarten durfte. Durchaus ein gelungener Start, der dem Sender viel Aufmerksamkeit bescherte.
Jetzt, nach drei Monaten, ist die quantitative Bilanz recht ernüchternd. Der Sender dümpelt bei 0,1% Marktanteil (E14+) dahin. Vergleichbare Sender wie n-tv oder das hauseigenen Welt-TV liegen beim Zehnfachen. Lagen die Tages-Nettoreichweiten (E14+) zum Senderstart mit der „Kanzler-Nacht“ noch bei rund 1,5%, so schwanken sie jetzt bei mageren 1%. Aus Sicht von Werbetreibenden keine sonderlich beindruckenden Zahlen, zumal die Zuschauerstruktur überproportional ältere Menschen mit geringer Bildung und niedrigem HH-Einkommen aufweist. Einzig das sehr klar männlich dominierte Zuschauerprofil hat für die Mediaplanung mitunter spannende Aspekte.
Was gut ankommt, muss noch lange nicht gut für den Werbetreibenden sein
Aber bei der Bewertung eines Werbemediums zählen natürlich nicht nur die quantitativen Dimensionen, sondern auch die qualitativen Aspekte müssen mit in Waagschale geworfen werden, um das gewünschte Werbeumfeld für eine Marke einschätzen zu können. Bezüglich RTL2 führt man beispielsweise auch 28 Jahre nach Senderstart mit nicht wenigen Werbekunden Diskussionen über die sinnhafte Belegung des Senders. Bei Formaten wie „Frauentausch“ oder „Das Messie-Team“ vielleicht auch nachvollziehbar. Auch bei digitalen Bewegtbildkanälen wie YouTube, Facebook oder TikTok wird die Frage nach der Brand Safety zu Recht gestellt. Während ersterer der Problematik der zweifelhaften und mehrdeutigen Inhalte nicht Herr wird, scheint letzterer nicht in der Lage zu sein, das wiederholte Hochladen von gesperrten Videos zu unterbinden. Schon mehr als erstaunlich, wo hier doch extrem ausgefeilte Algorithmen zum Einsatz kommen, die Inhalte und Sehverhalten einzelner Videos bis ins Kleinste analysieren können.
So wie bei diesen Medien die Algorithmen die Viewrates gegenüber der Brand Safety zu priorisieren scheinen, so muss sich natürlich auch ein klassischer TV-Sender der Frage nach einem vertrauensvollen Umfeld stellen. Denn nur, weil er auf dem großen Bildschirm im Wohnzimmer ankommt, muss er noch nicht gut für den Werbetreibenden sein.
Oberste Priorität: Geschwindigkeit
Zurück zu Bild-TV: „24/7, meinungsstark und live-haftig“ ist der Claim des selbsternannten News-Senders. Und Live-Journalismus ist hier tatsächlich die Maxime: Da wird mitunter aus Mangel an eigenen Inhalten „live“ am Wahlabend die Berliner Runde von ARD und ZDF übertragen. Zudem sind täglich umtriebige Bild-Journalisten vor Ort und berichten über alle denkbaren bedeutenden und weniger bedeutenden Ereignisse. Dynamisch mit AirPods im Ohr schicken Reporter dabei vermeintliche Tatsachen über den Sender, ohne dass vorher ein Faktencheck zu erfolgen scheint. SMS werden da schon mal in der Sekunde vorgelesen, in der sie beim Reporter ankommen. Geschwindigkeit scheint oberste Priorität zu haben, egal ob sich Gerüchte hinterher als unwahr rausstellen. Entschuldigen kann man sich später immer noch, auch wenn es dann keinen mehr interessiert.
Nicht wenige nennen Bild-TV daher das deutsche Fox News. Und in der Tat erinnern On-Air-Design, Optik der Moderatoren, Schlagzeilen und Debattenkultur stark an das amerikanische Original. Allein ein Testimonial à la Donald Trump fehlt Bild-TV noch. Aber der Profilierungsdrang beider Sender ist durchaus vergleichbar: Da hacken die Bild-Reporter gerne schon mal persönlich on Air auf der Corona-Politik der Bundesregierung rum oder prangern die angebliche Bevormundung des Staates in allen Dimensionen an. Es geht dabei ausschließlich um Emotionalisierung – wie der ehemalige Chefredakteur Julian Reichelt selber unumwunden in Interviews zu Bild-TV zugegeben hat. So wie Fox News der Sender für die (angebliche) schweigende Mehrheit der Amerikaner ist, so versteht sich Bild seit jeher als Anwalt des kleinen Mannes. Durch extreme Emotionalisierung der Nachrichten bindet der Sender seine Klientel an sich, indem er immer wieder bestätigt, was diese hören will – vergleichbar mit Social-Media-Plattformen, auf denen der Algorithmus immer gleiche Botschaften an die immer gleich „Bubble“ ausspielt. Bei Bild-TV ist das eine kleine, aber konstante Menge an Menschen, wie der obige Blick auf die Marktanteilszahlen belegt.
Eine Frage der Haltung
Dass eine extreme Emotionalisierung von Nachrichten bis hin zu einer Spaltung der Gesellschaft führen kann, das kann man hervorragend an den USA beobachten. Aber auch bei uns ist das Phänomen nicht neu, geben doch nicht wenige Historiker der Bild-Zeitung durch ihre aggressiven Schlagzeilen gegen die Studentenbewegung eine Mitschuld an dem Attentat auf Rudi Dutschke im Jahre 1968. Hier muss man als werbetreibendes Unternehmen selbst für sich entscheiden, ob man Medien mit diesen Tendenzen durch seine Werbegelder unterstützen möchte. Letztlich ist es eine Frage der Haltung. Annalena Baerbock stand Bild-TV für die Kanzlernacht schließlich auch nicht zur Verfügung, obwohl sie dabei auf Publicity im Wahlkampf verzichtete.
Für Werbetreibende wird es aber spätestens dann kritisch, wenn die Brand Safety bedroht ist. Durch die Radikalisierung von Nachrichten und die Zuspitzung von Thesen, wie Bild-TV sie aktuell betreibt, macht sich das Medium zum Handlanger von rechtsextremen Parteien und Verschwörungstheoretikern. Wenn werbliche Botschaften letztlich mit entsprechenden Themen assoziiert werden, dann ist eine Platzierung auf Bild-TV auch nicht anders einzuordnen als eine Platzierung auf entsprechend zweifelhaften YouTube- oder Facebook-Kanälen. Es wird dann schwer, Botschaften wie Nachhaltigkeit oder Diversity glaubhaft zu kommunizieren.
Es macht einen Unterschied, aus welcher Ecke der Applaus kommt
Fazit: Die Bild mag zwar immer noch die Tageszeitung mit der höchsten verkauften Auflage in Deutschland sein, ein durchschlagender Erfolg ist sie im linearen Fernsehen bisher aber nicht. Bild-TV scheint mir heute politischer und zugespitzter, als es die Printausgabe jemals war. Je stärker man die Nachrichten radikalisiert, desto mehr Applaus wird man bekommen. Die Frage ist nur, aus welcher Ecke? Dieses Spiel ist riskant, vor allem, wenn man die Kontrolle darüber verliert. Als werbetreibende Marke sollte man sich daher, mehr vielleicht als bei anderen werberelevanten Sendern, fragen, ob man dieses Spiel wirklich mitspielen will. Aus Markensicht bleibt zu hoffen, dass der neue Chefredakteur Johannes Boie den von Julian Reichelt eingeschlagenen inhaltlichen Kurs korrigiert und damit künftig mehr Brand Safety für Werbetreibende sichergestellt ist.
Dieser Beitrag ist erstmals als Gastbeitrag bei Horizont.net am 01.12.2021 erschienen.
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