Unsere Branche wird immer unattraktiver, sagt Crossmedia USA-Mitbegründer Kamran Asghar. Doch was können wir tun, um die dysfunktionale, oft toxische Dynamik zwischen Kunden und Agenturen wieder zu verändern? Von einer lösungsorientierten Arbeitsweise über menschliche Intelligenz hin zu operativer Transparenz – Kamran wirft einen Blick darauf, was Agenturen helfen kann, den hohen Stellenwert wiederzuerlangen, den sie als Lieferanten exzellenter Arbeit für sich beanspruchen können.
Das Handwerk der Überzeugung – in manchen Fällen auch die Kunst – lockt viele ins Agenturgeschäft. Aber tatsächlich wird unsere Branche immer weniger verlockend.
Die Schuld daran wird gerne auf die 90er Jahre geschoben. Damals fingen Agenturen an, sich aufzusplitten. Medienkanäle und Werbemöglichkeiten für Kunden vermehrten sich stark. Der Kommerz schlug die Kunst, Werbung wurde immer rationaler und weniger gefühlsbetont. Der Elendsquotient der Werbung stieg an.
„Hate the industry, love the craft“ – „Hasse die Branche, aber liebe das Handwerk“ – fasst zusammen, was viele fühlen, die mit dieser Situation unzufrieden sind. Wir verlassen uns zu sehr auf alte Schemata, was zu einer dysfunktionalen, oft toxischen Dynamik zwischen Kunde und Agentur führt, die von immer kleiner werdenden Margen und unerfüllten Erwartungen geprägt ist.
Doch das muss nicht so sein!
Flexibel und beratend, statt starr und kurzsichtig
Wenn Agenturen relevant bleiben wollen, müssen sie ein lösungsorientiertes, medienunabhängiges und kanalübergreifendes Geschäftsmodell verfolgen. Sie müssen nichts Geringeres bieten als einen Beratungsrahmen, der flexibel genug ist, sich weiter zu entwickeln und sich spontan neu zu erfinden, um den schnelllebigen Marktveränderungen gerecht zu werden.
Wer mein Reden jetzt schon leid ist, ist es vielleicht deshalb, weil er sich der Realität nicht stellen will: Unser Vergütungsmodell ist vor die Hunde gegangen, weil unser Betriebsmodell fehlerhaft ist. Das Blatt hat sich ab dem Zeitpunkt gewendet, als die Agenturen das lösungsbasierte und ergebnisorientierte Arbeitsprinzip aus den Augen verloren haben, um dem schnellen Geld hinterherzujagen. Ja, die faire Vergütung der Agenturen ist zum Großteil der Komplexität durch Technologie und Vermehrung von Medienkanälen und Wahlmöglichkeiten zum Opfer gefallen. Die Aufsplittung der Agenturen brachte eine toxische Auswirkung auf das Wertversprechen der Agenturen mit sich. Die Kreativ- und Mediabranche braucht eine umfassende Neuaufstellung. Wenn zu viele Player in unserem Ökosystem bereit sind, das billige und oftmals betrügerische Modell zu dulden, dann bewegen wir uns wirklich weg vom „Handwerk“ hin zur „Industrie“.
Menschliche Intelligenz wird uns voranbringen
Zoom@Home ist ein Retter, der uns geholfen hat, uns an eine Jahrhundert-Epidemie anzupassen. Aber wir alle wissen, dass Technologie ein zweischneidiges Schwert ist, das nicht nur die Kreativität der Menschen beflügelt, sondern auch ihre negativen Ausprägungen zu Tage fördern kann. Facebook ist ein Paradebeispiel hierfür.
Blindes Vertrauen in Künstliche Intelligenz (Machine Learning) zu setzen, ist ein Fehler. Ich glaube zwar nicht an Andrew Yangs Vision eines beruflichen Armageddon mit Bots, die Menschen ersetzen, aber es ist ganz bestimmt zu kurzsichtig gedacht, sich komplett auf Technologie zu verlassen. Ja, Maschinen erledigen Arbeit effizienter, aber dadurch wird das Ergebnis nicht unbedingt smarter.
Unsere menschliche Intelligenz sollte ein kritisches Bollwerk gegen die Starrheit einer Künstlichen Intelligenz sein. Aber menschliche Intelligenz kann nur dann immer besser werden, wenn eine Agentur auf einer Kultur aufgebaut ist, die die unermüdliche Suche nach Insights und wahrer Inspiration belohnt. Nur dann werden wir mutigere, bessere Ergebnisse für Kunden sehen.
Operative Transparenz über die Vergütung hinaus
Beim Thema Transparenz geht es nicht nur um die Ehre, bezahlt zu werden, sondern darum, wie man jeden einzelnen Teil seiner Kundenbeziehung gestaltet. Eine Priorisierung der operativen Transparenz erfordert Mut und ein gewisses Maß an Furchtlosigkeit. Und sie ist erforderlich für Nachhaltigkeit. Kunden verlassen sich nicht mehr auf das Wort von Agenturen. Sie wollen die volle Transparenz in der Lieferkette. Das Tolle an offenen Restaurantküchen ist, dass man sehen kann, wie die Wurst hergestellt wird. Marken verlangen heute Verantwortlichkeit auf Detailebene – es geht nicht mehr um bloße Lippenbekenntnisse. Und einige der fortschrittlicheren Marketer haben hier bereits den Weg des In-Housing eingeschlagen.
Durch diese grundlegenden Veränderungen werden Agenturen in der Lage sein, ihre Position als Anbieter exzellenter Agenturleistungen, die sich an den KPIs der Kunden orientieren, zurückzuerobern. Wir können es uns nicht länger leisten, Taktiker zu feiern und die kreativen Risikoträger zu demoralisieren. Letztere waren es, auf denen unsere Branche aufgebaut wurde und auf die wir auch weiterhin setzen sollten.
Dieser Artikel ist erstmals am 30.10.2020 in ADAGE erschienen.
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