Marken versuchen zunehmend, die empfundene Authentizität von Social Media in ihren Werbekampagnen zu reproduzieren. Das ist zwar in der Theorie eine gute Idee, aber nicht das, was Konsument:innen tatsächlich wollen – meint Curtis Hougland, CEO der CROSSMEDIA-Partneragentur People First. Zeit für Marken, die Augen aufzumachen und genauer hinzusehen.
Verbraucher:innen wollen von Marken keine überproduzierten Social-Media-Imitate. Wenn man sich heutzutage einen Werbespot im Fernsehen ansieht, fühlt es sich an, als scrolle man durch TikTok – aber nicht im positiven Sinne. In letzter Zeit habe ich Werbespots gesehen, in denen Kund:innen plötzlich vor einem Old Navy-Geschäft breakdancen; ein Teenager-Mädchen bereit sich aufs viral gehen vor, indem sie einen erfrischenden Schluck Coca Cola nimmt; und Influencer-Koryphäe Addison Rae veranstaltet eine improvisierte Tanzparty, um für Samsung zu werben. Marken sind ganz offensichtlich vernarrt in den Versuch, die empfundene Authentizität von Social Media nachzuahmen. Das Problem ist nur, dass die Verbraucher:innen keine überproduzierten Imitationen von Marken wollen.
Der Wunsch nach Anti-Perfektionismus und Authentizität
Konsument:innen wollen, dass Marken mit ihren Kunden:innen und Fans auf eine Art und Weise interagieren, die sich weniger nach professionellem Setting und mehr wie das eigene Wohnzimmer anfühlt. Sie bevorzugen Werbung von echten, nicht perfekten Menschen, die echte Erfahrungen mit den Produkten und Themen teilen, die ihnen am Herzen liegen.
Daten belegen das: Laut einer Studie von Meta aus dem Jahr 2021, bei der mehr als eine Million Anzeigen mit mehr als 10.000 Gesamtimpressions untersucht wurden, führte ein Video mit geringerer Produktionsqualität zu einem Anstieg der Anzeigenerinnerung um 1 %. Im Jahr 2019 stellte Meta fest, dass selbst aufgenommene Direct-Response-Anzeigen besser abschnitten als im Studio gedrehte Werbemittel. Sie führten mit einer Wahrscheinlichkeit von 63 % zu Ergebnissen wie Käufen und App-Installationen im Lower Funnel.
Verbraucher:innen haben sich von überproduzierter, cineastisch anmutender Werbung mit Schauspieler:innen, die echte Menschen nur nachahmen, verabschiedet. Es ist an der Zeit, dass Marken die Schönheit der Unvollkommenheit in der Werbung annehmen. Die Unvollkommenheit eines Menschen und nicht eines Models – eines Menschen, der mit seiner eigenen Stimme zu den Mitgliedern seiner Community spricht. Das beinhaltet selbstverständlich Sichtbarkeit von unterschiedlichen Körpertypen, Erfahrungen und Identitäten in der Werbung.
Influencer-Content übertrumpft Big Budget-Produktionen
Ein TikTok-Video eines Mikro-Influencers (zwei- bis zehntausend Follower) über eine Marke wird im Durchschnitt mit einer Share Rate von über 10 % geteilt, weil sich das Erlebnis „real“ anfühlt (und ist!). Instagram-Posts und -Videos von Mikro-Influencern erhalten eine durchschnittliche Engagement-Rate von 6,5 %, was deutlich über dem Branchendurchschnitt von 1,9 % liegt. Sowohl organische als auch bezahlte Beiträge schneiden besser ab. Diese Zahlen sind ein klares Argument dafür, dass Marken sich davon lösen sollten, Social-Media-Kampagnen mit riesigen Budgets zu kopieren. Stattdessen sollten sie anfangen, in die Produktion und das Sourcing von weniger perfekter und glatter, dafür aber persönlicherer und nahbarerer Werbung zu investieren.
Kampagnen von Mikro-Influencern haben im Durchschnitt ein höheres Engagement und erreichen mehr als die Hälfte aller Verbraucher:innen. Die Überzeugungskraft von Lo-Fi-Content sowohl in der Politik als auch bei Marken ist inzwischen bestätigt. Laut einer Studie der DGA (Directors‘ Guild of America) erinnerten sich Befragte aus Virginia mit einer 23 % höheren Wahrscheinlichkeit an eine Anzeige von Mikro-Influencern, denen sie folgten, als an eine Kontrollanzeige – was bei regelmäßigen Social-Media-Usern auf 43 % anstieg.
Ehrlich gesagt sollte es niemanden überraschen, dass Verbraucher- und Wähler:innen eher von Mitgliedern ihrer Community als von einer Kampagne überzeugt werden können. Chanel investierte 33 Millionen Dollar in „The Film“, einen Werbespot mit Nicole Kidman, und Chrysler gab 10 Millionen Dollar für „Imported from Detroit“ mit Eminem aus. Teddy der Golden Retriever erhält dagegen 350 Dollar für eine Kollaboration mit der Marke Peanuts – und hat trotzdem 5.5 Mio. Follower:innen auf TikTok.
Zusammenbruch des Vertrauens
Hintergrund dieser Entwicklung hin zu unperfekter Werbung ist das schwindende Vertrauen der amerikanischen Verbraucher:innen. Salesforce hat über den Vertrauensverlust gegenüber Marketern im Zusammenhang mit dem Thema Datenschutz berichtet. Da Kaufentscheidungen zunehmend nur einen Mausklick entfernt sind, lässt auch die Markentreue verständlicherweise nach, so die OMD. Menschen verlassen sich bei ihren Entscheidungen einfach lieber aufeinander.
Die Lösung liegt auch nicht in Prominenten oder Top-Influencern. Marken können durch Peer-to-Peer-Anzeigen auf Kanälen wie TikTok oder Nextdoor bessere Ergebnisse erzielen. Unsere Daten zeigen, dass Mikro-Influencer in puncto Cost-per-Engagement um 168 %, bei der Engagement-Rate um 146 % und beim Earned Media Value um 133 % besser abschneiden als Makro- oder Celebrity-Influencer.
Echte Menschen teilen echte Erfahrungen
2018 war ich bei einem Abendessen mit einem Kreativdirektor der Werbeagentur von Nike. Er war verständlicherweise stolz auf die wichtige „Dream Crazy“-Kampagne für soziale Gerechtigkeit mit Colin Kaepernick. Aber ich musste ihn fragen: „Wäre die Kampagne nicht noch wirkungsvoller gewesen, wenn Hunderte von schwarzen Männern im ganzen Land ihre eigenen parallelen Erfahrungen mit Colin geteilt hätten?“ Der Raum wurde still.
Damals war ich davon überzeugt (und bin es heute immer noch), dass persönliche Geschichten – auch in Form von Werbung – persönlicher, kraftvoller und wirkungsvoller sind. Es gibt keine bessere Werbung als echte Menschen, die echte Erfahrungen im Namen dessen, was sie unterstützen, teilen.
Instinktiv setzen viele Marken auf unperfekte Werbung aus ihren Communities. ASOS setzt für sein Insiders-Programm vor allem Mikro-Influencer:innen ein. Pampers sucht nach aussagekräftigen, persönlichen Geschichten von jungen Müttern und verzichtet auf Expert:innen und Schauspieler:innen. Genexa lanciert eine 50-Millionen-Dollar-Marke, indem es Gesundheitsdienstleister für „saubere“ Medikamente ohne Zusatzstoffe wie Farbstoffe oder Zucker werben lässt.
Marken können jede beliebige Verbrauchergruppe für die Erstellung von Anzeigen rekrutieren – unabhängig von ihrer geografischen Herkunft, ihrer Identität, ihrem Beruf, ihrem Krankheitsbild oder ihrer ethnischen Zugehörigkeit – über jeden digitalen Kanal und in jeder Sprache. Den Menschen in den Mittelpunkt zu stellen, ist jetzt die perfekte Wahl für Werbetreibende.
Dieser Artikel wurde zuerst auf campaignlive.com am 31. Oktober 2022 veröffentlicht.
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