Der Kunde ist bekanntlich König. Dass Unternehmen aber häufig vor diversen Hürden stehen, diese Denkweise auch in der Praxis umzusetzen, weiß Maik Erkelenz, Director Business Consulting bei CROSSMEDIA, aus langjähriger Erfahrung. Im Folgenden gibt er eine hilfreiche Anleitung für erste Gehversuche mit dem Leitsatz der Customer Centricity.
„Customer Centricity“ ist in Gesprächen zwischen Unternehmern, Marketern und Beratern mittlerweile ebenso geläufig wie die betriebswirtschaftlichen Klassiker „Umsatz“ und „Einkauf“. Beratungen und Großkonzerne rekrutieren im Akkord und bauen Abteilungen auf, die sich ganz dem positiven Markenerlebnis des Kunden widmen. In Fachmedien erscheinen immer mehr Artikel zum Thema. Jeder kennt das Buzzword und arbeitet – tatsächlich oder vorgeblich – am Aufbau entsprechender Kompetenzen und Systeme. Aber was ist mit „Customer Centricity“ überhaupt gemeint? Das Verständnis für das Wesen dieses Ansatzes scheint weit weniger verbreitet zu sein. Dabei ist es ganz einfach: „Der Kunde ist König“. Der Kunde soll an allen Berührungspunkten mit dem Unternehmen positive Erfahrungen machen. In Folge soll er sich nicht nur loyal, sondern im besten Fall als begeisterter Markenbotschafter zeigen. Soweit die Idee.
Theorie vs. Praxis
Der oberflächliche Leser mag einwenden, ich blase eine Glückskeksweisheit auf. „Kundenorientiert? Sind wir doch alle!“ In Wahrheit sprechen wir hier aber von einer Revolution. Es ist die Anerkennung der Tatsache, dass allein der Kunde darüber entscheidet, ob ein Unternehmen erfolgreich ist oder nicht. Das heißt wiederum, dass alle Abteilungen ihre Leistungen immer wieder an den wichtigsten Maßstäben von allen messen müssen: Kundenmehrwert und Kundenzufriedenheit.
Die Praxis dazu sieht bislang noch eher mau aus. Schauen wir uns die Ergebnisse solcher Projekte oder Initiativen an, stellen wir fest, dass die Hauptaufgabe, Mehrwerte für den Kunden zu schaffen und dadurch passiv Umsätze zu steigern, meist nur geringfügig umgesetzt wurde. In Wahrheit ging es vielen einfach nur um Zahlen. Auch als Kunde hat man zu selten den Eindruck, Unternehmen kommunizierten besonders konsistent, relevant und zuvorkommend. Die Wahrheit ist: Nur wenige begreifen die Dimension der Idee „Customer Centricity“.
König der Zufriedenheit
Doch wie nähere ich mich den oben genannten Zielen? Wenn der Kunde König ist und Sie wissen wollen, was seine Durchlaucht zum Glück benötigt, dann fragen Sie nach! Schnappen Sie sich ein Umfragetool aus Ihrem CRM oder aus dem Netz und finden Sie anhand von maximal fünf Fragen heraus, was der König wünscht und warum. Bessere Hinweise für strategische und operative Weichenstellungen sind nirgends sonst zu bekommen. Nehmen Sie sich anschließend zwei bis drei dieser Kundenwünsche vor. Denken Sie darüber nach, wie Sie diese Wünsche erfüllen könnten. Was müssten Sie im Unternehmen ändern? Welche Technologien benötigen Sie dafür? Brauchen Sie dafür neues Personal oder müssten Sie vorhandenes schulen? Führen Sie diese Gedanken bis zum Ende. Wenn Sie diese Überlegungen nicht vom Pfad in Richtung Customer Centricity abgebracht haben, sind Sie den ersten und wichtigsten Schritt in Richtung Erfolg schon gegangen, denn die richtige Einstellung ist das A und O.
Das Ziel in Sicht
Halten wir uns nochmals das Ziel vor Augen: personalisierte und Mehrwert schaffende Kundenerfahrungen an allen Berührungspunkten mit der Marke erzeugen. Oder anders formuliert: bessere Kommunikation, höhere Kundenloyalität, steigender Kundenwert, weniger Aufwand, mehr Gewinn. Keine Angst! Wenn Sie clever vorgehen und eine maßgeschneiderte Lösung anstreben, sollte Ihr Ressourceneinsatz gleichbleiben oder sogar sinken. Mehr Leistung für weniger Geld. Dennoch ist das Vorhaben nicht ohne. Die Umstellung auf kundenzentrierte Strukturen gleicht einer Operation am offenen Herzen mit vielen Chirurgen, während der Patient ohne Betäubung weiterläuft. Wägen Sie daher vorher ab, ob Sie zwingend auf dem OP-Tisch landen müssen, denn nicht für jedes Unternehmen sind die First-Party-Daten überlebensnotwendig. Setzen Sie beispielsweise auf schnelllebige Produkte, sollten sich fragen, ob ein langwieriger Aufbau einer stark kundenzentrierten Struktur sinnvoll für Sie ist.
Kundenperspektive ist Trumpf
Grundsätzlich gilt jedoch: Kunden prägen Ihre Produkte und Dienstleistungen stärker als bisher. Die Kundenperspektive ist also Trumpf: „Hey Kunde, was brauchst du? Können wir das bieten und wenn ja, wie?“ Wenn Sie mit diesem Ansatz nicht einverstanden sind und lieber nach dem Prinzip „Ich habe mir etwas ausgedacht, wer braucht das bitte?“ arbeiten möchten, dann lassen Sie es gut sein. Aber seien Sie sicher, dass der Trend nicht zu Ihren Gunsten läuft. In naher Zukunft wird der Kunde eine auf ihn und seine Bedürfnisse fokussierte Haltung in allen Bereichen verlangen – auch im B2B. Ohne Customer Centricity-Philosophie wird es spätestens dann richtig schwer.
Wenn Sie den Artikel aufmerksam verfolgt haben, wissen Sie, dass eine solche Kundenzentrierung Investitionen voraussetzt – auch wenn man diese so gestalten kann, dass es wirtschaftlich tragbar ist. Mit der Einführung eines CRMs, eines Chatbots oder anderen sicher sinnvollen Tools ist es aber noch nicht getan. Sie stellen schließlich Teile bis hin zu Ihrem kompletten Way of Work um und das geht nicht über Nacht. Daher sind Einzelprojekte sinnvoll, bei denen Sie ein klares Ziel haben, auf das Sie hinarbeiten. Ohne positives Leitbild wird es schwer, sich zu motivieren und auch Ihre Partner und Mitarbeiter zu begeistern. Leuchtende Beispiele für gelebte Customer Centricity finden Sie bei Mercedes rund um deren EQ-Serie, aber auch das Kundenprogram von adidas und das übergreifende Vielfliegerprogramm von Star Alliance wissen zu überzeugen.
Wenn der Kunde König sein soll, müssen Sie ihm zuhören. Das bedeutet zwangsläufig eine stärkere Fokussierung für User Research, klassische Marktforschung und innovative Instrumente zur Erfassung von Kundenmeinungen. Denn Customer Centricity funktioniert nicht ohne Kundendaten und Kundenmeinungen. Übrigens brauchen Sie beim Thema Daten keine Angst zu bekommen. Gerade in Zeiten von DSGVO und Datenschutz müssen Sie eine Art „Deal“ mit den Kunden eingehen: Sie erhalten die Daten und dürfen diese nutzen, Ihr Kunde erhält im Gegenzug einen ausgezeichneten, individuell zugeschnittenen und transparenten Service. Eine klassische Win-Win-Geschichte für alle Beteiligten.
Das Spiel mit den sensiblen Daten
Um Kunden besser nachvollziehen zu können, empfehle ich Ihnen folgendes Szenario: Schnappen Sie sich einen Zettel und schreiben Sie auf eine Seite, welche Daten Sie heute von Ihrem Kunden erhalten und welche Sie gerne erhalten würden. Auf eine andere Seite notieren Sie, welche Dienstleistungen Sie erbringen und ggf. erbringen könnten. Bewerten Sie nun die Daten nach dem „Schmerz“, den das Teilen beim Kunden verursacht. Denken Sie als Kunde, nicht als Unternehmer. Fragen Sie sich, wie schwer es Ihnen fällt, diese Daten zur Verfügung zu stellen. Erstellen Sie eine Punkteskala und bewerten Sie den Schmerz des Kunden (1 = tut kaum weh, 5 = tut sehr weh). Dann sortieren Sie Ihre Dienstleistungen nach der gleichen Methode ein und stellen beide Seiten gegenüber. Wahrscheinlich werden Sie nun feststellen, dass eine Asymmetrie zu Ungunsten des Kunden besteht. Speziell, wenn es um Daten geht, die Sie gerne hätten. Sie müssen also etwas tun, weil wir bis hier hin Wettbewerbsfaktoren und die Bedeutung weiterer Daten für den wirtschaftlichen Erfolg noch gar nicht berücksichtigt haben!
Keine eindeutige Marschroute, aber ein Kompass
Überzeugen Sie alle Mitstreiter. Customer Centricity bedeutet Veränderung. Für Teile des Unternehmens sowieso, vielleicht sogar für das Ganze. Also müssen Sie alle Mitstreiter ins Boot holen. Meist reicht eine Zukunftsstudie zu Ihrem Markt. Wenn alle den allgemeinen Trend sehen, wird jeder verstehen, dass das Thema Priorität hat. Dafür brauchen Sie eine Vorstellung davon, wohin die Reise gehen soll. Idealerweise handelt es sich dabei um Produkte, Services und sonstige Mehrwerte, die Ihre Kunden sich wünschen und die Sie ihnen bieten möchten. Darüber hinaus sollten Sie den Bedarf in folgenden Bereichen grob skizzieren: Technologien & IT, Kundendaten, Personal, Marktangang, Learning & Development. Lassen Sie sich genug „Beinfreiheit“. Beispielsweise ist kein konkretes Datum erforderlich, ein Horizont von X-Y Jahren reicht völlig. Verstehen Sie das Zielbild also nicht als klar definierte Marschroute mit Meilensteinen in bestimmten Abständen, sondern als Kompass, der eine grundsätzliche Orientierung ermöglicht. Im Austausch mit Ihren Kunden ergeben sich ohnehin laufend neue Impulse zur Optimierung Ihrer Strategie.
Strukturieren Sie Ihr Projekt. Der Betrieb muss parallel zur Umstellung auf Customer Centricity ohne Einschränkung weiterlaufen. Im Idealfall gründen Sie ein Projektteam, das sich – losgelöst vom Tagesgeschäft – ausschließlich um das Thema kümmert. So ein Team lässt sich mit aktuellem Personal bilden, aber Sie sollten auch frische Ideen durch Neueinsteiger und/oder externe Berater einplanen. Aber es geht nicht nur um neue Ideen, sondern auch um handfestes Know-how zu Projektansätzen wie Scrum, Kanban oder Rapid Prototyping. Es handelt sich dabei um Methoden aus der Software-Entwicklung, mit deren Hilfe sich der schrittweise Aufbau der Customer Centricity und die dynamische Zusammenarbeit im Team organisieren lassen. Um sicherzustellen, dass Sie graduell vorankommen, braucht es nun einmal ein dynamisches Projektmanagement und Scrum, Kanban und Rapid Prototyping sind bewährte Methoden. Es ist wichtig, dass alle Beteiligten im Kreislauf aus Ideenfindung, Entwicklung von Lösungen, Testläufen und Bewertungsrunden die Übersicht behalten.
Erfolg durch Kontakt
Nun aber ran an den Kunden! Die Zeit der PowerPoint-Schlachten ist vorbei. Dank des Zielbildes haben Sie bereits ein paar Dinge vor Augen, die Sie im Sinne des Kunden umsetzen könnten. Um dem Projekt Customer Centricity nach innen und außen Glaubwürdigkeit zu verleihen, sollten Sie sich für den Start die Maßnahmen heraussuchen, die den Mehrwert für den Kunden in den Vordergrund stellen. Es geht darum, zunächst den Kunden in den Fokus zu stellen und anschließend Profit zu generieren – für beide Seiten. Sollten Sie sich noch unsicher sein, befragen Sie ruhig Ihre Kunden, womit Sie definitiv anfangen sollten. Bauen Sie anschließend einen Prototyp und testen Sie diesen am Markt. Verfeinern Sie ihn Schritt für Schritt, um ihn in Richtung Zielbild zu entwickeln. Für KPI-getriebene Unternehmen klingt diese Vorgehensweise vage – möglicherweise sogar angsteinflößend. Bitte keine Panik: Dank der Projektstruktur halten Sie alle Fäden in der Hand und können zu jedem Zeitpunkt den Fokus auf den Return on Investment erhöhen.
Foto Credit: Monkeyoum (Shutterstock)
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