Als Forscher und Zahlenmensch ist Tobias Schwarz, Director CROSSMEDIA REDBOX, froh, dass konkrete Ziele in der Markenkommunikation längst gelebte Praxis sind. Über eine bestimmte Aufgabenstellung an die Media wundert er sich allerdings immer wieder: die Steigerung der Consideration. Warum Markenrelevanz keine Aufgabe ist, die man an seine Mediaagentur outsourcen kann, erklärt er in diesem Beitrag.
Eine kleine Mediageschichte: An einem beliebigen Morgen in einer beliebigen Mediaagentur. Mediaberaterin X öffnet ihre elektronische Post. Ah, da ist es, das neue Kampagnen-Briefing! Der Kunde beauftragt eine ATL-Kampagne, analog und digital, Zielgruppe Frauen 20-49 Jahre, Budget 500k… soweit alles klar. Unter dem Punkt „Ziele“ liest die Beraterin: Markenbekanntheit weiter ausbauen. Und, das ist diesmal neu, Consideration steigern und Relevanz für das Kernprodukt erhöhen. All das soll sich schlussendlich positiv auf den Abverkauf auswirken…
So oder so ähnlich dürften sich heute die meisten Briefings lesen. Die kleine Geschichte zeigt, dass es mittlerweile zum Glück gelebte Praxis ist, sich auch für Markenkommunikation konkrete Ziele zu setzen, die operationalisierbar sind und deren Erfüllungsgrad auch auf die Kommunikationsleistung zurückführbar ist. Sie zeigt zudem, dass sich die Einsicht weitgehend durchgesetzt hat, dass es immer zwei Seiten der Kommunikationsmedaille gibt: Marke und Performance. Marke, um auch langfristig und nachhaltig den geschäftlichen Erfolg zu sichern, Performance um kurzfristig, kontinuierlich abzuschöpfen, den „Laden am Laufen zu halten“ und Marke zu finanzieren. Aber sogar eine dritte positive Entwicklung ist zu beobachten: Nämlich die Erkenntnis, dass es auch noch etwas zwischen Markenbekanntheit und Abverkauf gibt, das ebenfalls durch Kommunikation geprägt wird, nämlich die Markenrelevanz.
Irgendwann ist die Bekanntheit zu Ende gesteigert
Gerade bei etablierten Marken ist die Bekanntheit irgendwann zu Ende gesteigert. Wann das der Fall ist, ist je nach Branche und Relevanz des Produktes oder der Dienstleistung für die Masse sehr unterschiedlich. Aber wenn es soweit ist, geht es bei den bekanntheitstechnisch etablierten Marken eher um die Frage, wie man bei reinen Markenkennern auch die Relevanz der Marke erhöhen kann. Super Zielsetzung! Wir haben gelernt, dass Ziele SMART* sein sollten und das beinhaltet auch und vor allem, dass sie messbar sein müssen. Die Consideration von Marken oder Produkten ist Einstellungssache. Da man Einstellungen in der Regel eher schlecht von außen beobachten kann, wird die Consideration meistens durch Marktforschung erhoben, indem man einer repräsentativen Stichprobe der Zielgruppe die Frage stellt: „Welche der folgenden Marken aus dem Bereich X würden Sie generell in Betracht ziehen?“ Hier gibt es zwar noch diverse Spielarten und artverwandte Abwandlungen wie z. B. die eng verwandte „Purchase Intention“, innerhalb derer die Consideration noch mehr in Richtung Kauf zugespitzt wird, aber ich würde behaupten, dass die Consideration in ihrer „Urform“ auf der allgemeinen, unverbindlichen, generellen Ebene verharrt und so wie gerade eben beschrieben operationalisiert wird.
Und nun kommen wir auch schon zum Kern des Problems, nämlich der Beeinflussbarkeit dieser Zielstellung durch Kommunikation bzw. im Speziellen durch Media. Hier hakt es nämlich nicht nur etwas, sondern gewaltig. Die Kernfrage ist: Kann ich diese Kennzahl kurz- bis mittelfristig durch bloße Kommunikationsdistribution unabhängig von Kreation, Botschaft, Produkt oder Service beeinflussen? Also kann Media diese Kennzahl aus eigener Kraft steigern? Um der Frage nachzugehen, würde ich die Betrachtungsebene gerne noch etwas weiten und die Rolle von werblicher Kommunikation ganzheitlich betrachten.
Was kann Werbung leisten – und was nicht?
Werbliche Kommunikation kann vorhandene Produktmerkmale oder Markendimensionen in der Wahrnehmung der Konsumenten verstärken. Kreativagenturen greifen diese Merkmale auf und verpacken sie in einer Botschaft oder Kreation, PR- und Content-Agenturen suchen nach passenden Inhalten, die die gewinnbringenden Merkmale eines Produktes bzw. einer Marke unterstreichen. Und was macht die Mediaagentur? Die sorgt dafür, dass die Kommunikation zu Marke/Produkt generell bei der Zielgruppe sichtbar ist und vor allem dann, wenn dort ein Produkt besonders gefragt ist. Die richtige Mediastrategie trägt Sorge, dass die richtigen Touchpoints zur richtigen Zeit besetzt werden, der Konsument zur richtigen Zeit die richtigen Infos bekommt und passt Umfelder und Formate an die zu vermittelnde Botschaft an. Auch wenn all diese Aufgaben bestmöglich erfüllt werden, kommt es trotzdem darauf, dass die Botschaft an sich bereits stimmt, damit die Markenrelevanz durch Übermittlung dieser Botschaft steigt. Man muss ganz klar sagen: Mediaagenturen haben bei der „Mission Consideration“ den scheinbar kleinsten Hebel, denn sie haben nur begrenzten Einfluss darauf, WAS kommuniziert wird, sie stellen nur die geeigneten Transportmittel zur Verfügung, die die Botschaft pünktlich, schnell und zuverlässig zu den richtigen Empfängern bringen.
Nicht die Kommunikation selbst, sondern der empfundene Mehrwert steigert die Consideration
Unsere Forschung stützt diese These. Wir haben im Laufe der Jahre eine Vielzahl an Analysen, von reiner Befragung über Treiberanalysen bis hin zur Modellierung von Zeitreihendaten, durchgeführt, die alle ein Ziel hatten: zu ergründen, was genau die Consideration einer Marke/eines Produktes in den Augen der Konsumenten positiv beeinflusst. Die Erkenntnisse deuten alle in eine Richtung: Es ist eher nicht die Kommunikation selbst, sondern der tatsächliche oder zumindest empfundene (Mehr-)Wert, den ein Angebot gegenüber Konkurrenzangeboten bietet, der die Consideration direkt beeinflusst. Der Mehrwert von Marke, Produkt oder Services kann dabei auf der rationalen Ebene des Produktes (neue Funktionen, komplett neue Produktkategorie) oder auf der emotionalen Markenebene (Vertrauen, Purpose etc.) entstehen. Die Tatsache, dass auch der empfundene Mehrwert schon zu einer Steigerung der Consideration führen kann, ist erstmal eine gute Nachricht für alle Marketer. Die schlechte ist: Um sie zu steigern, muss man auch eine neue Mehrwert-Botschaft kommunizieren können; eine Botschaft die glaubwürdig versichern kann, dass es gute Gründe gibt, die bekannte Marke, das Produkt oder den Service jetzt noch besser zu finden. Dies wird besonders deutlich im Vergleich zu neuen Marken, denn in Märkten, in die neue Marken mit frischen, vielleicht sogar disruptiven Angeboten eindringen, entwickeln sich Bekanntheit und Consideration fast parallel, aber nur deswegen, weil das Angebot neu ist und es ein Bedürfnis erfüllt, das andere Marktangebote bisher nicht erfüllen konnten. Das Dilemma ist also vor allem dann gegeben, wenn das Produkt altbekannt ist und sich nur die Zielsetzung verändert. Und das ist leider eher die Regel als die Ausnahme. Auch gerne dann, wenn die Budgets zu knapp werden, um die Markenbekanntheit weiter auszubauen.
Die Steigerung der Consideration lässt sich nicht outsourcen
Was also tun? Wenn man es ernst meint mit dieser Zielsetzung, muss man es richtig angehen. Richtig angehen heißt, alle an der Wertschöpfungskette beteiligten Unternehmensabteilungen (Produktentwicklung, Vertrieb, Marketing), Agenturen und sonstige Partner wie z. B. Forschungsinstitute in einen mehrstufigen Prozess zu integrieren, in dessen Rahmen der Mehrwert von Marke, Produkt oder Service sorgfältig herausgearbeitet wird, um ihn dann am Ende in eine glaubwürdige Kommunikation überführen zu können. Ja, hier schreibt ein Forscher, der naturgemäß der Forschung eine wichtige Rolle zuspricht. Aber auch objektiv beurteilt kommt der Forschung bei dieser Aufgabenstellung eine wichtige Rolle zu. Um den Mehrwert der eigenen Marke in den Augen der Konsumenten zu erkennen, ist es erforderlich, die aktuellen und potenziellen Konsumenten in den Prozess miteinzubeziehen. Den Start markiert häufig eine qualitative Forschung (Fokusgruppen, Tiefeninterviews etc.), deren Erkenntnisse anschließend durch die Analyse der aus quantitativer Befragung gewonnenen Daten mit geeigneten Verfahren wie Conjoint oder Treiberanalysen auf eine breitere Basis gestellt werden. Wenn man nun weiß, worin der individuelle MEHRwert begründet liegt, gilt es, diese Erkenntnisse in der Folge zusammen mit allen involvierten Parteien in ein stimmiges, integriertes Kommunikationskonzept zu überführen, das genau diesen Mehrwert überzeugend transportiert.
Das alles muss passiert sein, bevor man diese Zielsetzung ohne Kontext in ein Agentur-Briefing schreibt. Dann allerdings stehen die Chancen gut, dass sich mittelfristig auch die Consideration erhöhen wird. Und dann lassen wir uns auch als Mediaagentur liebend gerne an dieser gemeinsamen Zielsetzung messen. Es muss nur klar sein, dass die Steigerung der Markenrelevanz keine Aufgabe ist, die man isoliert an die Mediaagentur outsourcen kann.
*S = Specific, M = Measurable, A = Achievable (or agreed), R = Realistic (or relevant), T = Time-bound
Was denkst du?