Wer Leistung will, muss Sinn bieten. So lässt sich ein zentraler Gedanke zum Thema Purpose in der Unternehmenswelt zusammenfassen. CROSSMEDIA-Geschäftsführer Georg Tiemann stellt sich die Frage, inwiefern Mediaagenturen einen tieferen Sinn verfolgen – und muss sich zwischendurch ganz schön am Kopf kratzen.
Purpose ist ein verkopfter, esoterischer Ansatz. Das höre ich oft, wenn ich mit Leuten meiner Zunft über das Thema spreche. Dabei scheint das komplette Gegenteil der Fall zu sein: Das Korn Ferry Institute hat bereits 2016 herausgefunden, dass Unternehmen, die in den Kern ihrer Unternehmung einen klaren Purpose stellen, auf allen Dimensionen besser performen als Unternehmen, die sich diesem Aspekt verweigern.
Die Gründe? Mit einem “Reason Why“ im Hinterkopf sind Mitarbeitende langfristig motivierter, produktiver und innovativer, die Zusammenarbeit intern – aber auch mit Partnern – verbessert sich und die Reputation im Arbeitsmarkt steigt. Das alles führt zu einem deutlich verbessertem Geschäftsergebnis und einem – Achtung! – bis zu viermal schnellerem Wachstum!
Auf den Punkt gebracht: Wer Leistung will, muss scheinbar Sinn bieten. Und noch etwas: Wissenschaftler haben herausgefunden, dass der Faktor Freude (happiness) den Erfolg bedingt – und nicht wie irrtümlich angenommen, umgekehrt. Glückliche Mitarbeitende = positives Unternehmensergebnis. So einfach ist das.
Brauchen Mediaagenturen einen Purpose?
Organisationen, die auf einen klaren Purpose achten, haben also eine höhere Aussicht auf Erfolg, selbst dann, wenn ihre Produkte und Dienstleistungen sehr vergleichbar sind. Was mich zu meiner eigenen Branche führt: den Mediaagenturen. Wie ist es hier um das Thema Purpose bestellt? Ich spreche von einem Markt, in dem sich die eigentliche Kern-Dienstleistung von Agentur zu Agentur oftmals zu wenig unterscheidet und der Erfolg in wesentlichen Teilen von den handelnden Personen abhängt. Könnte ein Purpose da möglicherweise das Zünglein an der Waage sein?
Jedes Unternehmen, das in seiner Wertschöpfung maßgeblich von Menschen abhängig ist, tut gut daran, sich zu fragen, was Menschen – heute und zukünftig – dazu motiviert, mehr zu liefern als den guten Standard. Für eine Mediaagentur sollte es also ein zentrales Anliegen sein, einen Sinn für sich zu formulieren. Oder andersherum gedacht: Haben Unternehmen, die Mediaagenturen beauftragen, nicht ein großes Interesse daran, dass ihre Agentur eine Wertschöpfung außerhalb der kleinen Preise erzielt?
Für alle Zeiten verdorben
Wer allerdings bei Mediaagenturen nach einem tieferen Sinn sucht, stößt bei den meisten Agenturen auf nicht viel mehr als Plattitüden. Schlimmer noch: Für viele objektive Beobachter ist ein Kollaps des Systems vorprogrammiert, weil Arbeitsmoral, Arbeitsethik oder Qualitätsanspruch irreparabel beschädigt sind. Unser Markt scheint für alle Zeiten verdorben.
Hier könnte dieser Artikel jetzt enden und wir alle könnten resigniert zum Business as Usual zurückkehren. Einfach weitermachen wie bisher, Augen zu und durch, noch läuft ja alles, irgendwie.
Ich bin aber überzeugt davon, dass es einen Weg aus der Purpose-Falle gibt. Veränderung ist machbar – wenn man bereit ist, sich mit Konsequenz und Ernsthaftigkeit drei zentralen Themen zu widmen:
1. Neutralität
Nur wer ein neutrales Geschäftsmodell hat, kann Kunden wirklich beraten. Steht das Befriedigen von Eigeninteressen einer objektiven Beratung entgegen, sollte man diese Bereiche entweder schonungslos voneinander trennen oder sich auf einen Bereich konzentrieren. Es ist nicht verwerflich, dass Mediaagenturen wie Vermarkter agieren, aber dies sollte ehrlich ausgesprochen und transparent dargestellt werden. Alle Agenturen in einen Topf zu werfen, ist weder sinnvoll noch zielführend. Es gibt auch gute Gründe dafür, dass im Gesundheitswesen Ärzte nicht Apotheker sein dürfen. Jemand, der eine objektive Diagnose stellen soll, darf nicht auch mit dem Verkauf des Medikaments sein Geld verdienen.
2. Ethik
Ist die eigene Geschäftspolitik für jeden einzelnen Mitarbeiter vermittelbar? Agieren Mediaagenturen nachhaltig? Die Frage kann man in den meisten Fällen mit einem klaren Nein beantworten. Es gibt Mediaagenturen, die werfen über Jahre hinweg Profitmargen jenseits der 30% ab, um dann bei einer schwächelnden Konjunktur dem reflexartigen Stellenabbau ihrer Holding zusehen zu müssen und sich selbst mit ‚Freeze‘ bei Gehalt und Neueinstellungen konfrontiert zu sehen. Dentsu, Omnicom und Publicis seien hier als jüngste Beispiele genannt.
Nun könnte man fragen: Ist das problematisch? Ja, ist es. Nämlich genau dann, wenn ein Unternehmen Interesse daran hat, auf dem Arbeitsmarkt attraktiv zu sein. Und das dürfte wohl auf jede Mediaagentur zutreffen. Mitarbeitende wollen nicht nur einen klar geregelten Job, sie wollen sich mit ihrem Arbeitgeber auch auf eine neue Art und Weise identifizieren, die derartig operierende Unternehmen in die Bredouille bringt. Nachhaltigkeit, Verantwortung, Menschlichkeit – diese Werte spielen bei der Wahl eines Arbeitgebers eine immer wichtigere Rolle. Was uns zum nächsten Punkt bringt.
3. Verantwortung
Mir hat einmal ein Manager eines werbefinanzierten Mediums ganz unverblümt gestanden, dass er mit seinem Unternehmen keinen journalistischen Auftrag verfolge, sondern lediglich die Werbeblöcke so ummantelt werden, dass sie entsprechend Reichweite erzielen und vermarktet werden können. Die Aussage hat mich damals wirklich schockiert, lange bevor die Debatte um Purpose ihre Anfänge nahm. Immerhin stand sein damaliger Arbeitgeber für über 30% Marktanteil. Heute ist eben dieser Manager ins Lager der Mediaagenturen gewechselt. Ich befürchte, seinen pragmatischen Blick fürs Geschäft hat er beibehalten.
Mediaagenturen sind Teil unseres medialen Ökosystems und die Wertschöpfungskette, an der sie beteiligt sind, funktioniert bidirektional: Mediaagenturen leiten Werbeinvestments dahin, wo sie am effektivsten funktionieren. Es gibt unzählige Studien darüber, dass die Qualität und die Zuwendung zum Medium Werbung überdurchschnittlich wirksam machen. Haben Mediaagenturen dann nicht ein großes Interesse daran, eine möglichst große Vielfalt an qualitativ tiefgründigen Medien zu erhalten? Stattdessen leiten Sie die Werbegelder im großen Stil immer weiter dahin, wo sie Leistung möglichst effizient einkaufen und Deals befriedigen können. Oder schlimmer noch – für sich selbst den besten Schnitt machen. Das Ganze ist ein wahrerer Treufelskreis: Profiterwartung treibt Rabattgeilheit und Intransparenz treibt Einflussnahme auf Mediaentscheidungen und Medienvielfalt.
Alles nur Utopie?
Mediaagenturen können also Purpose-orientiert sein, wenn sie nur wollten. Allerdings würde der Weg dahin tiefgreifende Veränderungen für so manchen Player bedeuten, die einer Utopie gleichkommen. Ich möchte mir diese Zukunft trotzdem vorstellen:
Mediaagenturen, die sich so aufstellen, dass sie erstens den Erfolg ihrer Kunden vor dem eigenen Erfolg stellen, diese sie neutral beraten und dafür eine angemessene, transparente Entlohnung erhalten. Die zweitens ihren Mitarbeitern damit einen Purpose geben, der wirklich eine Motivation bedeutet über alle erdenklichen Bonusmodelle hinaus. Und die drittens Verantwortung übernehmen, die nicht nur ihren direkten Geschäftserfolg betrifft, sondern auch bedeutet, dass sie für Vielfalt, Qualität und Relevanz auf Medienseite einstehen.
Was denkst du?