Wir haben diese Plattform ins Leben gerufen, um unsere echten und ehrlichen Meinungen zu den Geschehnissen in der Welt, sei es in unserer Branche oder in unserer Gesellschaft, zu teilen. Während viele von uns noch unter dem Schock der Kriegserklärung Russlands an die Ukraine stehen, teilt Martin Albrecht, CEO von CROSSMEDIA Worldwide, seine Gedanken zu einer Welt, die sich durch die jüngsten Ereignisse für immer verändert hat.
In der letzten Woche mussten wir uns erneut mit dem Krieg in Europa vertraut machen. Genau hier, auf dem blutigsten aller Kontinente, entfesselt erneut ein gestörter Imperialist Gräueltaten gegen die Zivilbevölkerung eines Landes, das auf seinem Recht auf Selbstbestimmung besteht. Wir stehen unter Schock und sehen voller Sorge mit an, wie 77 Jahre relativen Friedens für die meisten von uns ein gewaltsames Ende finden. Für uns – bescheidene Staatsbürger und stolze Europäer -, die wir in der Nachkriegszeit aufgewachsen sind und nach dem Fall der Berliner Mauer Kinder bekommen haben, ist dies das Undenkbare: ein weiterer blutiger Großangriff über nationale Grenzen hinweg in Europa.
Wir müssen uns wieder mit der Sinnlosigkeit vertraut machen.
Mark Ritson – der so beständig gut darin ist, die richtigen Worte zu finden, dass er jetzt offizieller Weltmeister im Übertönen des Marketing-Bullshits ist – sagte letzte Woche, dass „in Kriegszeiten alles Marketing oberflächlich und lächerlich wird“. Das stimmt, aber das gilt auch für fast jede andere menschliche Tätigkeit. Genau das ist der Schrecken des Krieges: alles andere verliert an Bedeutung.
Und tatsächlich könnten wir uns schuldig gemacht haben, von der Sinnsuche besessen zu sein – bis hin zur Dekadenz: Unsere verzweifelte Suche nach einem Sinn für unsere Marken, unsere Karrieren, unser Leben wirkt im Moment grotesk sinnentleert. Wenn wir uns unsere Social Feeds von vor zwei Wochen anschauen, das, was uns und unsere Mitmenschen aufgeregt hat: Spüren wir jetzt noch die gleiche Wut? Oder würden wir uns wünschen, dass all diese Energie auf größere Probleme gerichtet wäre? In Abwandlung des alten Witzes „Wir waren zu arm, um Allergien zu haben“ könnte man sagen, dass dieser „Kulturkrieg“ ein Luxus ist, den die Ukrainer im Moment nicht haben und den sie auch in nächster Zeit nicht brauchen werden.
Wir müssen uns wieder mit der Ohnmacht vertraut machen.
Unsere Kinder wachsen damit auf, dass ihnen gesagt wird, sie könnten alles tun und alles sein. Wir sind an Ruhm, Reichtum und aus heißer Luft fabrizierter Omnipotenz gewöhnt. Wir applaudieren Zelensky, dessen wichtigste Waffe sein Telefon ist, aber die meisten von uns sind immer noch normale Bürger, deren leidenschaftlicher Drang, „etwas zu tun“, sich darauf beschränkt, den ganzen Tag entsetzt auf unsere Bildschirme zu schauen. Die meisten von uns sind nicht Elon Musk, der dem Start seines Starlink-Dienstes in der Ukraine am zweiten Tag von Putins Angriff einfach den Vorrang gegeben hat. Es ist ok, nicht Elon Musk zu sein. Wir erleben gerade, dass die Welt auf gefährliche Weise Allmacht akzeptiert. Aber der Wahnsinn kann nur durch die Macht der Vielen gestoppt werden, auch wenn die kleinen Taten, die uns Einzelnen möglich sind, vielleicht nicht den Symbolcharakter Musks haben.
Wir müssen uns wieder mit dem Begriff des Opfers vertraut machen.
Die Ukrainer werden Opfer bringen, wie sie nur ihre Großeltern und Urgroßeltern kannten und die wir für abgeschafft hielten. Das übrige Europa, ihre Verbündeten und eigentlich die ganze Welt, werden mit ihnen Opfer bringen. Die Ukrainer sind zu Opfern gezwungen, aber auch der Rest der Welt hat große Entscheidungen zu treffen. Entscheidungen, die ein Höchstmaß an Mut erfordern: FREIHEIT GIBT ES NICHT UMSONST.
Wenn wir dachten, dass Adressable TV oder eine Welt ohne Cookies disruptiv sind, müssen wir jetzt noch einmal nachdenken: Am 24. Februar hat sich die Welt verändert, und alle Regeln sind neu. Das schiere Ausmaß und die Geschwindigkeit der Kehrtwende in der deutschen Außenpolitik sind beruhigend: Niemals zuvor hat Deutschland in der Nachkriegszeit Waffen an ein Land geliefert, das sich im Krieg befindet, und niemals zuvor hat es sich zu einer so enormen Erhöhung des Verteidigungshaushalts verpflichtet. Der Kommentar des neuen deutschen Vizekanzlers Habeck ist weise: „Es ist die richtige Entscheidung, aber ob es eine gute Entscheidung ist, weiß niemand“.
Machen wir uns also wieder mit dem Krieg vertraut. Atmen wir tief durch. Um dann Sinn, Kraft und Mut zum Weitermachen neu zu erfinden.
Das #XMVoice-Team möchte Sie dazu ermutigen, den Menschen in der Ukraine zu helfen. Selbstverständlich können Sie selbst recherchieren, an wen Sie spenden möchten, oder eine der unten aufgeführten Organisationen unterstützen:
Kyiv Independent
Action Fund For Women’s Human Rights
Aktion Deutschland hilft
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